Nein, denn Peggy gehört dazu und wird immer im Stadtteil verankert bleiben! Unsere Peggy (97) ist gestern auf die Reise gegangen zu ihren ermordeten Eltern, Verwandten und zu vielen bereits vor ihr aufgebrochenen Freunden. Was für ein Leben, was für eine Liebe - wir wurden reich beschenkt von dieser außergewöhnlichen Frau. Ihre blitzgescheiten Kommentare, stets kämpferisch gepaart, mit großer Herzlichkeit werden uns fehlen!
Auszüge aus Gesprächen mit Peggy Parnass für den Stadtteilführer Be Well in Hamburg St. Georg, 11. Ausgabe 2019:
Habe wirklich viel erlebt in meinem inzwischen langen Leben, erzählt mir Peggy Parnass, Künstlerin, Journalistin, Schauspielerin und noch viel mehr alles in einem! Geboren in St. Pauli als Kind jüdischer Eltern, denen es gelang, obwohl sie in ärmlichen Verhältnissen lebten, miteinander glücklich zu sein. Meine warmherzige von mir so sehr geliebte Mama schaffte es, mich und
meinen kleinen Bruder rechtzeitig in einen Zug nach Schweden zu setzen, bevor sie und mein Vater deportiert wurden. Ein Abschied für immer. Wir jüdischen Kinder wussten alle, dass Menschen in Konzentrationslagern verschwanden, natürlich versuchten meine Eltern uns zu beruhigen und sprachen von einem Wiedersehen. Unglaublich, dass es heute noch Menschen gibt, die davon nichts wussten, oder so tun, als sei überhaupt nichts passiert!
In Schweden wuchs Peggy, inzwischen getrennt von ihrem Bruder in zwölf verschiedenen Gastfamilien auf. Ich bin ungeschickt, erzählt sie von sich selbst, also musste ich irgendwas für den Kopf lernen. Sprachen, jawohl das lag ihr. Über Stationen u.a. in London und Paris kam sie schließlich zurück nach Hamburg und hätte am liebsten direkt an der Elbe, oder so, gelebt. Die politisch engagierte Peggy meint damit St. Pauli Hafenstraße, neben Elbblick pulsierte hier das Leben, Hausbesetzungen und viele Demos, auf denen sie sich aktiv einbrachte. Doch die Sache mit dem Wohnen kam ganz anders.
Künstlerfreunde schleppten mich nach St. Georg, in einen kleinen zauberhaften Innenhof, umringt von einem alten, hübschen Häuserensemble. Und hier ist sie, meine kuschelige Wohnhöhle und ganz besonders Menschen aller Nationalitäten um mich herum. Wir wohnten damals fast wie in einer Großkommune, alle irgendwie zusammen, hatten wenig Geld und waren Bohemians. St. Georg war eine Welt für sich, alles ganz intensiv Ausländer, Rentner, Autostrich, Arbeiter, Studenten, Künstler und Bürgerinitiativen. Und im Vergleich zu heute?
Ja, damals war es ein Lumpenproletariat, ärmlich, eher sogar ein Slum, heute wohnen hier Millionäre und Multimillionäre! Die Atmosphäre hat sich für mich nicht verändert, da ich immer bunt gelebt habe. Damals waren meine Freunde ärmer als heute, sind aber immer noch Bohemians, das ist mir wichtig! St. Georg ist heute immer noch eine Welt für sich, mit meinen vielen Freunden. Überall werde ich angelächelt, bin immer dankbar dafür, dass mich keiner böse anguckt.
Gibt es einen besonderen Wunsch?
Ich liebe das Leben mit meinen Freunden in St. Georg, sagt Peggy Parnass mit leuchtenden Augen und wünscht sich noch mehr davon.
Das Thema Freundschaft hat für Peggy Parnass höchste Priorität! Sie sagt dazu:
Freundschaft ist für mich alles. Absolut alles, wichtiger als alle leidenschaftlichen Liebesverhältnisse!Ganz besonders ist diese noch junge Freundschaft Peggys:
Vor gut zwei Jahren traf sie bei einer politischen Veranstaltung der Kulturbehörde Rainer Neumann, Reisebürokaufmann und Autor.
Ich brauchte Hilfe, da kam Rainer einfach zu mir und half. Seitdem hat Rainer sich vielfach gemeldet und gekümmert. Ich dachte er wohnt in der Langen Reihe, habe erst viel später erfahren, dass er immer aus Uhlenhorst extra rüberkommt. Ich habe restloses Vertrauen zu ihm, habe keine Geheimnisse vor ihm. Meinen Freunden gebe ich immer alles und Rainer gehört dazu.
Dass es zu dieser besonderen Freundschaft mit Rainer Neumann kam ist nicht von ungefähr, denn Neumann ist ein ausgesprochen sozial und kulturell engagierter Mensch. Die Erlöse aus seinem Werk „Passiert, notiert“, fließen ausschließlich als Spende in soziale Projekte, wie zum Beispiel der Suppengruppe an der evangelischen St. Georgskirche. Der selbständige Reisebürokaufmann betrachtet seine Schriftstellerei als Ausgleich zu seinem Job und fand in Peggy eine beratende Künstlerfreundin, die immer ehrlich und aufrecht Stellung bezieht.
Ich bewundere sie sehr! Peggy ist immer bestens informiert, liest am Tag vier Zeitungen und ist nach wie vor kulturell unterwegs, sagt Neumann.
Rainer hat ein hinreißendes Buch geschrieben, so heiter wie er selbst immer ist. Ich kenne Niemanden, der so voller Optimismus ist, und mit seiner Heiterkeit alle ansteckt. Sein Buch, ist kein Roman, er hüpft von Seite zu Seite durch sein Leben mit seinen täglichen Ereignissen. Ich glaube, dass Rainer ein ganz neidloser Mensch ist, der anderen nicht nur gönnen kann, sondern gönnt! Dass Rainer von dem erheblichen Einnahmen seines erfolgreichen Buches nicht einen Cent für sich behält, sondern alles an Bedürftige verschenkt, ist typisch für ihn, sagt Peggy Parnass.
Die Gespräche mit Peggy Parnass und Rainer Neumann führte Barbara Gitschel-Bellwinkel im November 2019.
Fotos©Barbara Gitschel-Bellwinkel
Am 13.11.2019 teilte der Hamburger Senat mit, dass Peggy Parnass die Ehrengedenkmünze in Gold verliehen wird, eine der höchsten Auszeichnungen neben dem Ehrenbürgerrecht der Stadt. Sie sei eine außergewöhnliche Persönlichkeit, mit einem beeindruckenden Lebenswerk, so Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher. Ihre oft streitbaren Wortmeldungen seit Jahrzehnten gaben wichtige Impulse für Demokratie, Erinnerungskultur und Gleichberechtigung. Die Verleihung der Ehrendenkmünze in Gold ist Ausdruck des großen Dankes und der Würdigung ihrer erheblichen Verdienste.